"Meine Lebensqualität wurde durch die Nierenspende praktisch nicht beeinträchtigt"
Dr. Hans-Joachim Andres, Beverstedt
Tierarzt & Journalist
Die Geschichte meiner Nierenspende
Versprochen ist versprochen: Eine neue Niere für die Ex-Frau
Von Dr. Hans-Joachim Andres
Einmal Bundespräsident zu werden wie Frank-Walter Steinmeier – nein das wollte ich nun wirklich nicht. Aber eine Niere zu spenden, wie er es für seine Frau getan hat, das konnte ich mir schon eher vorstellen.
Versprochen ist versprochen
Die zystische Entartung der Nieren ist eine heimtückische Krankheit, bei der immer mehr Nierengewebe durch viele und zum Teil sehr große Zysten ersetzt wird. Die lebenswichtigen Filterorgane verlieren ihre Funktionsfähigkeit, und letztendlich wird die unangenehme Dialyse notwendig. Die veränderten Nieren nehmen erheblich an Umfang zu und füllen den Bauchraum aus, es sieht äußerlich fast aus wie eine Schwangerschaft. Meine Ex-Frau litt unter dieser Erbkrankheit und ich hatte ihr eine meiner Nieren versprochen, wenn es einmal soweit wäre und alles passen würde.
Zwölf Jahre später saß Martina (Name geändert) an einem regnerischen Tag im April 2017 auf einem Strohballen vor ihrem Pferdestall und seufzte: „Nun ist es bald soweit – ich muss an die Dialyse!“ Als ich sie dann an mein Versprechen erinnerte, schaute sie mich ganz verwundert an. Anscheinend hatte sie daran gar nicht mehr gedacht. Es brauchte aber nicht viel, sie von der Ernsthaftigkeit meines Angebotes zu überzeugen – denn für mich gilt: Versprochen ist versprochen!
Natürlich waren wir uns darüber im Klaren, dass die Möglichkeit einer Nierenspende zwischen uns unwahrscheinlicher sein würde als etwa zwischen nahen Verwandten. Es müsste also schon vieles zusammenpassen. Vor allem mein fortgeschrittenes Alter mit mittlerweile 72 Lenzen erschien uns problematisch.
Der Stein kommt ins Rollen
Doch dann ging alles ganz schnell: Der Nephrologe im Bremervörder Krankenhaus bat mich zu einem Termin, untersuchte mich und schaute sich meine Nieren eingehend im Ultraschall an. Meine Blutgruppe Null sei optimal, obwohl hier heutzutage eine Übereinstimmung nicht mehr unbedingt notwendig wäre. Danach kamen diverse Urin- und Blutuntersuchungen und schließlich gab es von ihm grünes Licht: Soweit war alles in bester Ordnung und die umfangreichen Vorbereitungen konnten beginnen.
Es folgten für uns beide zehn anstrengende Monate mit rund 50 Arzt- und Krankenhausterminen, vom Augenarzt über Internisten (u.a. Magen-/Darmspiegelungen), Kardiologen, Nephrologen, Radiologen („Röhre“), Rheumatologen, Dermatologen bis hin zum Urologen. Das alles ist gesetzlich vorgeschrieben und notwendig, um sicherzustellen, dass der Spender absolut gesund ist und die Spende ohne Schaden übersteht. Und natürlich soll auch gewährleistet sein, dass die Spenderniere optimal arbeitet und darüber hinaus keine Tumorzellen übertragen werden.
Da ich bislang von Vorsorgeuntersuchungen nicht viel gehalten hatte, rechnete ich fest damit, dass mich irgendeine Untersuchung mit negativem Ergebnis aus dem Rennen werfen würde. Der Nephrologe hatte nämlich gesagt: „Sie werden so intensiv untersucht, wie sonst kaum jemand. Und das ist doch auch schon was!“
Jede weitere Untersuchung bestätigte jedoch meine gute Gesundheit. Mittlerweile hatte ich auch viel dafür getan: Morgens in den Pool (auch bei Eis), täglich eine Stunde joggen und 1,5 Stunden Krafttraining an eigenen Geräten. Dazu täglich längere Wanderungen, zweimal wöchentlich in die – im wahrsten Sinne des Wortes – heißgeliebte Sauna und vor allem eine überwiegend vegetarisch-basische Ernährung. Und dazu jeden Tag ein Butterbrot, dick bestrichen mit frisch gepresstem Knoblauch – sozusagen mein Markenzeichen.
Kleine Komplikationen
Dann gab es aber leider noch zwei aufschiebende Probleme: Bei Martina mussten die Eierstöcke entfernt werden, die auch Zysten zeigten, und bei mir hatte sich kurzfristig noch ein Leistenbruch eingestellt. Aber diese Operationen haben wir ruck-zuck hinter uns gebracht und unsere Untersuchungsergebnisse füllten mittlerweile schon Aktenordner.
Die letzte Hürde war die Ethik-Kommission, bestehend aus einem Arzt, einem Psychologen und einem Juristen. Sie fühlten mir auf den Zahn, ob nicht vielleicht doch finanzielle Gründe für meine Nierenspende vorlagen, denn so etwas ist natürlich strikt verboten. Da ich mir meine Brötchen aber immer noch selbst leisten kann und darüber hinaus glaubhaft darstellen konnte, dass die langjährige sehr enge Freund-schaft zur Empfängerin sogar unsere kurze vorübergehende Ehe gut verkraftet hatte, gab es auch von dieser Seite grünes Licht.
Nach der Theorie …
Nun konnte der Operationstermin realisiert werden, dem wir beide auch zu unserem eigenen Erstaunen in aller Ruhe entgegensahen. Vielleicht hatte uns der vorangegangene Ärzte-Marathon abgehärtet? Da wir beide aus der Medizin-Branche kommen, waren wir gegenüber Otto-Normalverbraucher sicherlich etwas im Vorteil, denn wir konnten uns einigermaßen vorstellen, was da auf uns zukam.
Die nette Chirurgin hatte uns erklärt, wie sie vorgehen würde und uns auch die Risiken dargestellt. Das sind im Wesentlichen die Probleme, die bei jeder Operation auftreten können (z.B. Narkosezwischenfälle oder Blutgerinnsel, die in das Gehirn oder die Lunge wandern können oder Gefäßabbindungen, die abrutschen). Bei mir würde die Niere minimal-invasiv (d.h. endoskopisch, auch als „Schlüsselloch-Chirurgie“ bezeichnet) freipräpariert. Um sie aber aus meinem Bauch herauszuholen, wäre doch ein Schnitt notwendig. Da die zarte Chirurgin ein schmales Händchen hätte, wäre der Schnitt bei mir nicht so groß (bei einem Chirurgen als gestandenem Mannsbild mit großen Pranken wäre er bestimmt doppelt so groß geworden).
Bei der Empfängerin müsste leider ein deutlich größerer Schnitt gemacht werden, und der gesamte Eingriff wäre auch komplizierter. Die veränderten Nieren würde man übrigens aus verschiedenen Gründen in ihrem Körper belassen.
Beim Nierenspender kann es mitunter später ein Müdigkeits-Syndrom geben, das in sehr seltenen Fällen zur Berufsaufgabe geführt hat. Da die Ursache noch weitgehend unbekannt ist, wurde auch ich in eine Studie zur Aufklärung eingebunden u.a. mit Blutuntersuchungen und Fragebögen. Gelegentlich kann sich als Spätfolge auch eine Erhöhung des Blutdrucks einstellen.
Das Hauptproblem bei der Empfängerin ist eine mögliche Abstoßungsreaktion. Das körpereigene Immunsystem merkt leider nicht, dass die neue Niere dem Körper nur helfen will, sondern betrachtet sie als unerwünschten Eindringling, den es zu vernichten gilt. Deshalb müssen Medikamente zur Unterdrückung der Immunreaktion eingenommen werden, und die haben leider einige Nebenwirkungen. Zusätzlich muss sich die Empfängerin möglichst vor Infektionen schützen.
... geht es ans Eingemachte
Am Tag vor der Operation mussten wir im Klinikum Hamburg-Eppendorf einrücken und aus organisatorischen Gründen ein Zimmer teilen. Das gefiel uns zunächst gar nicht, da wir beide sehr geräuschempfindlich sind und auch daheim allein schlafen. Direkt vor unserem Fenster war allerdings der Betriebshof mit Versorgungsrampe für das gesamte Klinikum und es herrschte durchgängig ein heftiger Lärmpegel. Da wäre es gar nicht aufgefallen, wenn einer von uns geschnarcht oder im Schlaf gesprochen hätte. Wir durften noch ein anständiges Abendbrot genießen, bevor wir die Nacht mit Etappen-Nickerchen hinter uns brachten.
Am Operationstag wurde ich in aller Frühe in einen großen Raum geschoben, in dem sich immer mehr Operationsopfer aus den verschiedenen Stationen ansammelten. Dann ging es aber mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks weiter: Zunächst kam die Narkosestation, der Narkosearzt stellte sich vor, erzählte noch ein paar Dinge, und dann schlummerte ich selig auf Wolke Sieben ein und wurde in den OP geschoben. Etwa zwei Stunden später erwachte ich, an verschiedenen Schläuchen und Kabeln hängend. Die Wunden schmerzten natürlich, aber insgesamt war die Situation einigermaßen erträglich.
Mittlerweile war die Niere bei Martina eingesetzt worden, und wir fanden uns schließlich auf unserem Zimmer wieder. Irgendwie verging der Rest des Tages im leichten Dämmerzustand und dann auch die erste Nacht. Hilfreich war jedenfalls die Devise der Klinik, dass kein Patient Schmerzen aushalten muss. Das nette Pflegeteam war immer zur Stelle, um die Medikation den Bedürfnissen der Patienten anzupassen.
Am nächsten Tag sah alles schon viel freundlicher aus. Es gab eine frühstücks-ähnliche Mahlzeit, und nachmittags konnte ich schon einen längeren Spaziergang durch einen Park machen, während Martina vorsichtig die ersten Aufstehversuche unternahm. Dann gab es eine kleine Sensation: Die Ärztin kam mit den aktuellen Blutwerten und strahlte: Schon nach einem Tag hatte meine Turbo-Niere Martina aus dem dialysepflichtigen Bereich in absolut normale Nierenwerte katapultiert.
Und ab nach Hause
Am zweiten Tag nach den Operationen gab es eine große Visite mit Ärzten, Praktikanten usw. Die Chirurgin stand an meinem Bett und ich fragte sie leise, ob ich am nächsten Tag die Heimreise antreten könnte. Etwas zögernd bejahte sie das. Und dann fragte ich: „Und wie sieht es mit heute aus?“ Wenn ich abgeholt würde, ginge das auch heute. Die Visite war kaum zu Ende, da packte ich blitzschnell meinen Koffer, verabschiedete mich von meiner Zimmergenossin, wartete noch kurz auf den Entlassungsbericht und war dann gut 50 Stunden nach dem Eingriff wieder zu Hause. Martina musste noch ein paar Tage länger bleiben, wurde aber auch vergleichsweise früh nach 10 Tagen entlassen.
Heute sind etliche Monate vergangen, der Wundschmerz ist lange vergessen und die Kontrolluntersuchungen sind sehr zufriedenstellend. Ich merke keinerlei Unterschiede zu der Zeit vor der Operation, und Martina genießt die wiedergewonnene Lebensqualität in vollen Zügen.
Auch an dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle Ärzte, Helfer und Pfleger – insgesamt über 200 Personen – die zu diesem eindrucksvollen Erfolg beigetragen haben.
Mein persönliches Fazit
Mehrfach wurde ich schon gefragt, ob ich so etwas noch einmal auf mich nehmen würde. Auch wenn die Vorbereitungszeit recht anstrengend war, würde ich sagen: Ja, ich würde es noch einmal machen, wenn ich damit einem mir nahe stehenden Menschen helfen könnte. Aber das ist natürlich nur ein theoretischer Gedanke, denn meine zweite Nierenspende hätte bei den Ärzten und der Ethik-Kommission mit Sicherheit keine Chance …
Aus der Presse
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